Meine Top 50 | # 16

James Brown – Live at the Apollo, Volume II (1968)

Wenn man heutzutage neue Musik hören möchte, dann schaut man sich einfach bei Youtube, Spotify und Konsorten um. In grauer Vor-Internet-Zeit war dies noch um einiges beschwerlicher. Am naheliegendsten war natürlich der Gang ins nächste Plattengeschäft, um dort zu stöbern oder nach dem Album, das einem vom Musikmagazin seiner Wahl ans Herz gelegt wurde, Ausschau zu halten. Bei Plattengeschäften galt die Regel: je kleiner die Stadt, in der sich das Plattengeschäft befindet, desto beschissener bescheidener die Auswahl, die Nachfrage regelt schließlich das Angebot. Wenn man als Kleinstädter mit konfektionierter Charts-Ware nichts anfangen konnte oder nicht zufällig den gleichen Musikgeschmack wie der Plattengeschäft-Inhaber mit dem „kleinen, aber feinen Sortiment“ hatte, musste man entsprechend weite Wege in die nächste Metropole auf sich nehmen, um etwas Passendes zu finden. Es gab damals zwar schon Firmen wie JPC, bei denen man Tonträger bestellen konnte, aber selbst da gab es nicht alles, und schnell mal Probehören ging auf diesem Wege freilich auch nicht. Glücklich schätzen konnte sich derjenige, der musik-affine Freunde hatte, die ebenfalls immer auf der Jagd nach dem neuesten, heißesten Scheiß waren. Bei jedem Treffen wurde erst mal das CD-Regal nach Neuigkeiten abgescannt, es wurde gefachsimpelt, überall mal reingehört, und wenn einem etwas zusagte, nahm man die Scheibe mit nach Hause und fertigte sich eine Kopie an. Auf diese Weise habe ich damals einen Großteil meiner Musiksammlung aufgebaut, schließlich waren die finanziellen Mittel relativ begrenzt, das hätte ich niemals alles im Original käuflich erwerben können, eine CD kostete damals schließlich um die 30 DM. Ist der Freundeskreis nach außen abgeschottet, besteht allerdings die Gefahr, dass die Sammlungen der einzelnen Freunde im Laufe der Zeit inhaltlich konvergieren. Ich war daher immer froh, eine weitere, sehr preisgünstige Bezugsquelle für Musik zu haben: die bereits andernorts schon einmal lobend erwähnte ortsansässige Kreisbücherei. Die dort ausleihbaren Medien waren eine eigentümliche Mischung aus den üblichen Klassikern („Beatles“, Bob Dylan etc.) und Kuriositäten wie „Judas Priest“ oder Chick Corea. Hier hab ich so ca. Anfang der 90ger auch meinen Platz 16 entdeckt, den oben abgebildeten ersten Teil der „Live at the Apollo“-Ausgabe von 1968, den zweiten Teil habe ich lustigerweise erst anlässlich der Erstellung dieses Beitrags erstmals gehört. [Kurzer Einschub: die Arithmetik von James Browns „Live at the Apollo“-Alben ist etwas verwirrend. 1963 erschien „Live at the Apollo“, eine der ersten Live-LPs überhaupt. Diese gilt auch heute noch als Meilenstein des R&B und fehlt in praktisch keiner Bestenliste. 1968 erschienen dann „Live at the Apollo Part 1“ und „Live at the Apollo Part 2“, die im Doppel auch als „Live at the Apollo, Volume II“ bekannt sind und Mitschnitte von Auftritten aus dem Jahr 1967 enthalten]. Dieses Album strotzt regelrecht vor Kraft, James Brown macht hier seinem Ruf als „the hardest working man in show business“ alle Ehre, und seine Begleitband, die „Famous Flames“, spielen wie eine gut geölte Maschine. Die „Live at the Apollo“ (1963), die ich einige Jahre später käuflich erworben habe, und die ebenfalls ein eindrucksvolles Dokument von Browns Entertainment-Qualitäten ist, zieht dabei im direkten Vergleich nur knapp den Kürzeren. Beide Platten kann ich stimmungs-, witterungs- und jahreszeitenunabhängig jederzeit anhören und fühle mich jedes Mal bestens unterhalten.

4 Gedanken zu “Meine Top 50 | # 16

  1. Hach, und wieder mal hast Du eine schöne Erinnerung geweckt. Die Kreisbücherei, irre. Gerade das eingeschränkte Angebot hat unsere noch jungen Musikgeschmäcker ge“shaped“… Vor der CD-Ära gab es einen kleinen Kasten mit den ausgeschnittenen Covern der verfügbaren Musikkassetten, und NIEMALS hätte ich mir Keith Jarretts „Köln Concerts“ reingezogen, wenn die Auswahl größer gewesen wäre. Wer weiß, vielleicht bin ich ja auch aufgrund dieser frühen Prägung in Köln gelandet? Oder die greatest hits von „Chicago“. Ich kann heute noch jede Wort von „If you leave me now“ mitsingen. Die Kreisbücherei war ein absoluter Happy Place, und wir hatten Glück, dass sie an unsere Schule angegliedert war.

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    • Happy Place, das trifft’s! An das MC-Kästchen kann ich mich noch gut erinnern, da hab ich einiges kopiert (mangels Doppelkassettendeck via Walkman und 3,5-Klinke-auf-Cinch-Kabel, was klangtechnisch eher unbefriedigend war…). Im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten war das damals angenehm steinzeitlich.

      • Haha, ja, oder shaky Aufnahmen vom Radio, I remember… Übrigens hat mich die Bücherei-Erinnerung zum Nachdenken angeregt, und ich merke, dass die Stadtibliothek hier in Köln für mich ebenso ein Happy place ist. Ob das diese frühe Prägung mit verursacht hat? Hier allerdings kein Holzkästchen mit Kassettencovern, sondern volles Programm, man kann nicht nur jedes erdenkliche Buch ausleihen, sondern auch Musikinstrumente, Nähmaschinen, Social-Media-Studios mieten, 3D-drucken… so genial. In den Stadtteilen machen die auch richtige Stadtteilarbeit. Hach, Büchereien sind was tolles.

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